Nachdem am Samstag die letzten drei deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, haben internationale Kommentatoren größtenteils mit Verwunderung reagiert. Während beispielsweise in Japan, dem Land von Fukushima, die Atomkraft weiter ausgebaut wird, wird in Deutschland (einer Region ohne Erdbeben oder Tsunamis) die Katastrophe als Grund für den Ausstieg angeführt. In Finnland nahm an demselben Tag, als Deutschland ausstieg, sein bisher größtes Atomkraftwerk erstmals den Betrieb auf.
In Ländern, in denen der Atomausstieg vor einigen Jahren noch als zukunftsweisend und vernünftig gesehen wurde, wird er heute als pedantisch betrachtet. Besonders der Umstand, dass die Energielücke in Deutschland vorübergehend mit der Verstromung von Steinkohle gedeckt wird, stößt auf Unverständnis. Denn um die Versorgung zu decken, wurden Kohlekraftwerke mit sieben Gigawatt (GW) Leistung wieder ans Netz gebracht. Auch Gaskraftwerke sollen verstärkt für die Stromerzeugung genutzt werden, nachdem die Preise für Erdgas deutlich gesunken sind.
Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine im vergangenen Jahr wurde Deutschlands Atomausstieg zwar um ein Jahr verschoben, einen weiteren Aufschub hat die Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz jedoch kategorisch ausgeschlossen. Deutschland geht damit gegen den internationalen Trend. Während Schweden ursprünglich den Ausstieg bis 2040 geplant hatte, hat das Land inzwischen eine Kehrtwende vollzogen und plant stattdessen mehrere neue Atomkraftwerke, um den wachsenden Energiebedarf zu decken. Die schwedische Regierung rechnet bis 2030 mit einer Verdoppelung des Strombedarfs im Land.
Auch die Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Polen planen weiterhin Erweiterungen in ihrem nuklearen Kraftwerkspark. Die Schweiz will zwar aus der Atomkraft aussteigen, lässt sich damit aber deutlich mehr Zeit. Österreich hat nach einem Referendum im Jahr 1978 niemals Strom Atomkraftwerken erzeugt.
Nach Angaben des Bundesumweltamtes stoßen deutsche Bürger im Durchschnitt 10 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aus. In Frankreich sind es 5,2 Tonnen pro Kopf und in Großbritannien nur 4,9 Tonnen. Der Expertenrat bescheinigte Deutschland am Montag zwar, den Ausstoß im Jahr 2022 um 1,9 Prozent gesenkt zu haben, doch der Rückgang wurde vor allem durch die Wirtschaftskrise ausgelöst, die durch auf den russischen Angriff auf die Ukraine folgte.
Es ist zweifelhaft, ob dieser Trend auch nach dem Atomausstieg anhält. Die größten Emittenten, der Gebäude- und Verkehrssektor, sollen umfassend auf elektrische Energie umgestellt werden. Wie diese Nachfrage gedeckt werden soll, wird zur Schlüsselfrage für die deutsche Wirtschafts- und Umweltpolitik. Die Funke-Mediengruppe berichtet, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bis 2030 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien erzeugen will. Kritiker meinen jedoch, dass der wachsende Bedarf an elektrischer Energie nur durch den Kauf von Atom- und Kohlestrom aus dem Ausland gestillt werden kann.